Osterpredigt von Pfarrer Wagner

„Ostern im Morgengrauen“
Osternacht (Mk 16,1-8)

I

Liebe Schwestern und Brüder!

Oliviero Toscani, ehemaliger Photograph von United Colors of Benneton, ist überzeugt, dass die christlichen Kirchen mit dem Kreuz über das genialste Logo verfügen, das es je gegeben hat. Nur wüssten sie selber damit nichts Rechtes anzufangen.

Er schreibt:

„Als Jesus und seine Agentur „Die Apostel“ die größte Kommunikationskampagne aller Zeiten entwickelten, geschah das nicht mit einer glücksverheißenden Bilderwelt. Ganz im Gegenteil! Hier findet sich einfach alles wieder, was die Werbung verachtet: Ein nackter Mann, der ans Kreuz genagelt ist…Umarmung von Aussätzigen, Menschen im Elend, Kranke, eine Geburt im Viehstall, Stunden beispielloser Qualen…Die Jesus-Geschichte beschönigte weder die Leiden noch die Gewalt…Es wurde nicht auf sofortigen Gewinn abgezielt…Sie erzählt uns vielmehr von der Erlösung und ewigen Glückseligkeit und verheißt dies durch einen gekreuzigten Mann im blutigen Lendentuch, nicht durch Claudia Schiffer im Chanel-Höschen. Und diese Kampagne ist seit zwei Jahrtausenden Teil der kollektiven Vorstellungswelt.“

Soweit Toscani. Schon oft hat man sich in der Theologie und unter Historikern gefragt, warum sich denn damals der christliche Glaube, ein Phänomen aus einer Provinz des römischen Reiches, so atemberaubend schnell verbreitet habe – noch dazu in Konkurrenz zur geheimnisvollen Gnosis und dem intellektuell sehr anspruchsvollen Neuplatonismus.

II

Und das, was wir heute feiern – Ostern – macht die Sache ja auch nicht einfacher. Mit einem merkwürdigen Satz endet das Evangelium der Osternacht. Markus schreibt in dem Vers, den die Leseordnung der liturgischen Bücher unverständlicherweise weggelassen hat – vielleicht um die Freude der Osternacht nicht zu sehr zu irritieren -: „Da verließen die Frauen das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatten sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas davon; denn sie fürchteten sich“ (Mk 16,8). Schrecken, Entsetzen, Furcht – wo bleibt die Fortsetzung?

Immerhin: Die Frauen hatten im Morgengrauen des Ostertages entscheidende Schritte gewagt: zum Grab, ja sogar ins Grab hinein. Sie setzten sich dem Todesdunkel aus, wohl aus Liebe. Der eigentliche Schreck in der Morgenstunde: Alle, wirklich alle ihre Erwartungen, das letzte, woran sie sich noch orientieren konnten, wird umgestürzt von der Botschaft, die ihnen mitten in der tödlichen Enge des Grabes gesagt wird, gegen allen Augenschein: „Er ist nicht hier!“ – Das allerdings können sie sehen, aber es hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Die erhoffte Nähe zum verstorbenen Jesus finden sie nicht mehr. Und alles andere bleibt vorerst ziemlich unverständlich, eben furchterregend! So bleiben sie stumm – aus Furcht.

Aber ist Schweigen wirklich das Ende der Geschichte? Offenbar doch nicht. Wären die Frauen wirklich stumm geblieben, keiner von uns könnte heute hier sein.

III

Unverständnis, Erschrecken – ja, aber hier beginnt im Morgengrauen auch eine andere Spur, vielleicht zunächst nur als Ahnung: Wenn das wirklich wahr wäre: der Gekreuzigte gerettet, der Tote lebendig – und obendrein neue Gemeinschaft mit ihm zu finden in Galiläa, sprich dort, wo alles so gut angefangen hatte? – wenn das wirklich wahr wäre!

Vielleicht ist es wahr! Allein diese Möglichkeit steckt voller Verheißung, voller Hoffnung, voller Leben, das nicht verschwiegen werden kann. Und diese Botschaft hat bis heute unzählige Menschen in Bewegung gebracht – hat auch uns in Bewegung gebracht, schenkt auch uns Licht für’s Leben. So wie im Morgengrauen zunächst zaghaft, dann aber machtvoll der neue Sonnenaufgang beginnt.

Liebe Mitchristen! Ostern geht nicht so schnell! Da wird nicht einfach ein Schalter umgelegt! Da brauchen auch wir immer wieder den Weg vom Abendmahlssaal hin zum Karfreitag. Hin zur Erkenntnis, dass das Sterben Jesu dem Leben zum Sieg verholfen hat; dass Gott ein Lebensbündnis mit uns Menschen eingehen will, das durch nichts, auch nicht durch den Tod zerstört werden kann.

Das ist wohl auch das Geheimnis der 2000jährigen Geschichte des christlichen Glaubens, dass hier das Leben des Menschen total ernst genommen wird, dass Kreuz und Leiden nicht ausgeblendet werden wie in so vielen Werbekampagnen, aber dass Kreuz und Leiden eben nicht das letzte Wort haben, das es über einen Menschen zu sagen gibt.

Wir Christen haben mit dem Kreuz nicht nur das genialste „Logo“, das es je gegeben hat – wie Oliviero Toscani meint -, sondern wir haben mit dem Glauben an den Auferstandenen auch die unübertroffene Hoffnung, dass es mit unserem Leben gut ausgehen wird. Und dass im Hinblick auf die unzähligen unschuldigen Opfer der Geschichte gilt: das Opfer wird nicht auf immer von den Tätern gedemütigt, sondern von Gott rehabilitiert.

Diese grandiose Botschaft ist somit nicht nur der entscheidende Faktor für die Existenz von Kirche, sondern auch von größter Bedeutung für eine Gesellschaft, die zunehmend meint, ohne eine solche Hoffnung auskommen zu können.

Die Hoffnung, dass mit dem Tod eben nicht alles zu Ende ist, kann dem Leben eine entscheidende Wendung geben. Das bedeutet nämlich, dass jeder Augenblick zählt, dass nichts einfach umsonst passiert. Ein solcher Glaube ist das Gegenteil von Vertröstung – ein solcher Glaube macht das Leben vielmehr relevant.

Das heutige Evangelium, die Geschichte im Morgengrauen, behält ein offenes Ende. Die Fortsetzung schreiben alle, die diese Geschichte lesen, hören, ihren Kindern weitererzählen; alle, die sich von dieser Geschichte berühren lassen, die ihre eigenen Ostererfahrungen einbringen. Und welche Fortsetzung schreiben Sie?