Fastenpredigt | 5. Fastensonntag | 20.03.2021
„Ich bin gemeint! – Neue Erlebnisräume des Glaubens entdecken“
Liebe Gottesdienst-Gemeinde hier in St. Paul/St. Josef, aber auch zu Hause am Telefon,
schauen Sie sich einmal um… merken Sie sich alle gelben Dinge, die Sie hier sehen können.
Und jetzt schließen Sie bitte kurz die Augen und nennen Sie sich gedanklich drei rote Dinge hier in der Kirche (oder eben bei sich zu Hause).
Sind Ihnen drei rote Dinge eingefallen? …
Es kann gut sein, dass Ihnen nur eine rote Sache eingefallen ist – oder keine.
Für uns Menschen ist es typisch, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf etwas lenken können. Und bei der Ansage, merken Sie sich alle gelben Gegenstände, ging Ihre Aufmerksamkeit ganz klar auf diese Dinge. Das ist auch gut so, dass wir das können und nutzen, denn nur so können wir konzentriert und fokussiert sein.
Gleichzeitig steht uns dieses Können, das Fokussieren auf eine bestimmte Sache oder Situation manchmal auch im Weg. Wir denken dann nur in die eine Richtung, Kreativität und Freiheit gehen verloren. Ein Perspektivwechsel wird verhindert.
Aktuell sind die Gedanken und Gefühle der meisten von uns wohl auf die Sorgen und täglichen Herausforderungen, die die Corona-Pandemie mit sich bringt, fokussiert. Da heißt es am Morgen schnell die Zahlen checken, einordnen, was das für die kommende Zeit bedeutet, irgendwie organisieren, dass die Kinder zu Hause gut beschäftigt sind, ihre Aufgaben machen, während man selbst seine Arbeitsaufgaben erledigt.
Oder es bedeutet morgens aufstehen, sich motivieren zum Anziehen, zu einem stärkenden Frühstück, sich eine Tagesstruktur geben… auch und gerade weil niemand da ist und auch niemand zu Besuch kommen wird.
Es ist allzu menschlich, dass wir da in einen Strom geraten, die Blickrichtung auf das gerichtet, was gerade so viel Kraft kostet.
So ergeht es mir gerade häufig, vielleicht ertappen Sich sich auch dabei und auch unserer Kirche in Deutschland erging und ergeht so immer wieder.
Ich lade Sie heute Abend zu einem Perspektivwechsel ein.
Weg von „das hat ja alles nichts mit mir zu tun“ und dem Wunsch, dass am besten alles wieder so wird, wie es einmal war, hin zu „Ich bin gemeint! – und dem Wunsch, neue Erlebnisräume des Glaubens zu entdecken.
Diesen Perspektivwechsel möchte ich mit Ihnen in drei Schritten vollziehen:
Zunächst mit Blick auf die Schrifttexte des 5. Fastensonntags, die wir gerade gehört haben: Vom alten zum neuen Bund.
Dann mit Blick auf unsere Kirche:
Von einer Kirche, die um sich selbst kreist hin zu einer Kirche, die berührt.Und zuletzt mit Blick auf uns persönlich in der aktuellen Situation: Von Resignation hin zur Hoffnung.
1. Zunächst der Blick auf die Schrifttexte: Vom alten zum neuen Bund.
Da ist im Buch des Propheten Jeremia die Rede davon, dass Gott einen neuen Bund schließen wird, der anders sein wird als der bisherige. „Denn diesen, meinen Bund, haben sie (das Volk Israel) gebrochen.“ Dieser bisherige Bund wird im Buch Exodus eindrücklich beschrieben:
Als das Volk Israel aus Ägypten befreit worden war und Gott Mose die Gebote überreichte. Es ist ein zweiseitiger Bund, der da geschlossen wird. Das Volk hält die Gebote Gottes ein, dann erfährt es Gottes Segen. Der Segen hängt hier also letztlich von den Menschen ab. Zur Bestätigung des Bundes sprengt Mose das Blut des Opfertieres auf das Volk Israel. Hier wird deutlich, welch wichtigen Teil die Menschen in diesem Bund haben.
Der neue Bund, den Gott verspricht, ist die Fortsetzung und Vollendung des alten Bundes. Er steht auf einer ganzen neuen Grundlage. Der Mensch hat hier keinen Einfluss mehr auf den Segen Gottes. Der Segen ist unabhängig vom Menschen. Das bedeutet aber nicht, dass der Menschen hier völlig passiv ist, nein ganz im Gegenteil. Es geschieht eine Veränderung im gläubigen Menschen. Gott legt sein Gesetz ins Innere des Menschen. Der Mensch hat nun die Kraft dazu, tatsächlich so zu leben, wie Gott es will. Die Gebote sind kein Zwang mehr, sondern ein tiefer Wunsch, ein Verlangen.
Da heißt es: „Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein.“ Gleichzeitig schließt dieser neue Bund die Sündenvergebung mit ein: „Ich verzeihe ihnen die Schuld, an ihre Sünden denke ich nicht mehr“ verspricht Gott.
Der neue Bund erschöpft sich also nicht in Gesetzen, sondern wird zur Herzensangelegenheit des Menschen.
Das ganze „Neue Testament“ hat seinen Namen vom „neuen Bund“ (das lateinische testamentum ist eine Übersetzung des hebräischen berit, Bund). Und auch die sog. „Einsetzungsworte“ in der Fassung von Lukas (Lk 22,20) und dem 1. Korintherbrief (1 Kor 11,25) spielen auf den neuen Bund aus Jeremia (Jer 31,31) an: „Dies ist der neue Bund in meinem Blut …“.
Und im heutigen Evangelium wird deutlich, dass die Hingabe Jesu nicht ins Leere läuft, sondern aufgefangen wird in dem Versprechen, dass Gottes Bund ewig gilt. Jesus selbst sagt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht!“ Und die Stimme aus dem Himmel bekräftigt: „Ich habe ihn schon verherrlicht und ich werde ihn wieder verherrlichen.“ Der Opfertod Jesu und seine Auferstehung werden zur Grundlage des neuen Bundes.
Dieser neue Bund Gottes ist ein Geschenk an uns Menschen.
2. Den nächsten Perspektivwechsel wollen wir mit Blick auf unsere Kirche wagen: Von einer Kirche, die um sich selbst kreist hin zu einer Kirche, die berührt.
Dass unsere Kirche in Deutschland in einer Krise steckt, dass ist nicht erst seit einem Jahr so. Der Gottesdienstbesuch geht seit Jahrzehnten zurück, die Menschen entfremden sich zunehmend von den Sonntagsritualen und auch die Lebensrelevanz der Sakramente ist für viele Menschen nicht mehr gegeben. Die Kirche hat an vielen Stellen ihr Monopol, so könnte man sagen, verloren.
Corona war und ist hier eine Art Brandbeschleuniger für Prozesse, die in der kath. Kirche in Deutschland schon längst in Sicht waren: „Relevanzverlust, Liturgiefokussierung, Strukturprobleme, Mitglieder- und Personalschwund, Kommunikationsschwierigkeiten, der (zu oft) verlorene Kontakt zur Lebenswirklichkeit“ – wie es die Mainzer Pastoraltheologin Clarissa Vilain zusammenfasst. (Vilain, in Anzeiger für die Seelsorge 2/2021, 16)
Ein trauriges, aber auch realistisches Zeugnis.
Aber wir möchten heute ja einen Perspektivwechsel vollziehen: Ich denke, wir – die kath. Kirche – muss aufhören, um sich selbst und ihre Probleme, seien sie auch noch so drängend und nachvollziehbar, zu kreisen.
Wir müssen neu den Gedanken und Auftrag der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ des 2. Vatikanischen Konzils ernst nehmen: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“
Und dazu bietet uns diese Corona-Pandemie, diese außergewöhnlichen Umstände wirklich eine große Chance, die wir nutzten sollten.
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck fordert: „Die Kirche muss, aktueller denn je, eine lernende und zuhörende Kirche sein, die das Suchen nach den Spuren Gottes in dieser Zeit und Wirklichkeit in neuer Weise begleitet.“ (Overbeck, in Anzeiger für die Seelsorge 2/2021, 12)
Das heißt, sie muss eine aktuelle Sprache finden für das Heilsereignis, für den Bund Gottes mit uns, so dass wir heute diesen Bund spüren können.
Wenn wir als Kirche so reden und handeln, dann fühlen sich Menschen berührt, weil es tatsächlich ihr Leben berührt. Es geht dann nicht um irgendeine Angst, um irgendeine Not oder um irgendeine Zukunftsperspektive. Es geht um meine Angst, meine Not und meine Zukunftsperspektive. Und damit meine ich nicht, dass dann jeder egoistisch um seine eigenen Sorgen kreist – sondern dass so deutlich wird, dass die Trauer und Angst, aber auch die Freude und Hoffnung, dass diese nicht allgemein in der Welt ist, sondern eben in den einzelnen Menschen. Und in die Herzen dieser einzelnen Menschen will Gott seine Liebe legen, seine Hoffnung, seinen Geist.
So wird Kirche nicht zu einer „Gegenwelt“, die für viele nichts mehr mit der Realität zu tun hat – sie wird zur „Hoffnung in der Welt“. Und hier können wir alle, jeder und jede Einzelne von uns seinen und ihren Beitrag leisten, als Christin, als Christ in der Welt.
Wir als Kirche haben hier die Aufgabe, neue, aber natürlich auch bereits beständige Erlebnisräume des Glaubens zu bieten. Momente, Veranstaltungen, Gottesdienste, Gespräche und Anregungen, in denen Menschen etwas von Gottes Nähe und Wirksamkeit spüren können. Und in denen sie spüren: Ich bin gemeint! Gott ist mir nahe!
So eine Gebets- und Gottesdienstgemeinschaft, wie wir sie hier in St. Paul und St. Josef haben, die ist hierbei ganz wichtig. Sie wird zu Grundlage und zur Stärkung, damit jeder einzelne von uns immer wieder neu die Kraft und auch die Freude findet, so zu leben, dass andere etwas von der Hoffnung, der Wirkkraft und der Nähe Gottes spüren können.
3. Und zuletzt wechseln wir die Perspektive mit Blick auf uns persönlich in der aktuellen Situation: Von Resignation hin zur Hoffnung.
Die Studie „Junge Deutsche 2021“, die sich mit den Auswirkungen der Corona- Krise auf junge Menschen in Deutschland befasst, kam zu dem Ergebnis, dass junge Menschen, die einen starken religiösen Glauben haben, weniger belastet durch die Corona-Krise gehen, als andere. Besonders wichtig sei dabei der Aspekt, dass der Glaube im Alltag gelebt wird, man könnte also sagen, dass der Glaube mit dem alltäglichen Leben etwas zu tun hat.
Der Humanist und Soziologe Jonas Grutzpalk hält hier zwei Aspekte für besonders wesentlich: Zum einen sind religiöse Menschen geübt im „Abfeuern von Routinen“ und das wiederum helfe in Krisenzeiten. Sie können Hoffnung formulieren und haben in Gott einen Gegenüber. Zum anderen sind sie oft in eine verlässliche Gemeinschaft integriert, was natürlich in Zeiten von Kontaktbeschränkungen etc. auch sehr stärkend ist. (vgl. https://www.deutschlandfunk.de/widerstandsfaehigkeit-in-der-coronakrise-ein-stark-gelebter.886.de.html?dram:article_id=488840)
Ich denke, dass können und sollten wir uns immer wieder bewusst machen: Unser Glauben stärkt uns für unser Leben.
Wenn Sie noch einmal zurückdenken an den Beginn meiner Predigt, an die Wahrnehmungsübung. Egal ob sie gerade zu den Menschen gehören, denen es ganz gut so geht, die „alle Farben“ im Blick haben, die ihren Alltag, so wie er gerade ist, vielleicht auch genießen. Oder ob sie zu den Menschen gehören, die gerade oft so fokussiert sind auf einen Lebensbereich oder die gar nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht vor lauter Aufgaben.
Es gibt eine Übung, eine Methode, die uns allen gut tun kann und die auch unseren Glauben und unsere Hoffnung vertiefen kann.
Ein „Dankbarkeitstagebuch“.
Ich mache mir täglich am Abend – nur ganz kurz, vor dem Schlafengehen – bewusst, was heute gut war, für was ich dankbar bin. Am besten schreibe ich es auf, in eine kleines Heftchen oder auf einzelne kleine Zettel, die ich in einer Box oder einer Marmeladenglas sammle.
Es geht darum, den Blick am Abend auf das Gute zu lenken. Weg von Sorgen, Angst und Aufgabenflut.
Es geht darum, Dankbarkeit zu spüren. Zu spüren, dass Gott da ist, in dem was, ich täglich erlebe. Zu spüren, dass Gott seinen Bund mit mir hält.
Wenn ich mir das jeden Abend bewusst mache, die ganz kleinen Momente der Hoffnung und der Freude sammle, dann werde ich innerlich reich an Hoffnung. Dann kann ich spüren, dass Gott es ernst meint, dass er für mich, für unsere Welt da ist.