Fastenpredigt von Pfarrer Wagner: „Der „Bund“ als Basis oder Wie wollen und wie sollen wir leben?“

Der „Bund“ als Basis
oder
Wie wollen und wie sollen wir leben?
Gen 9,8-15 und Mk 1,12-15 (1. Fastensonntag B)

I

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

„Warum es normal ist, dass die Welt untergeht“, so lautet der Titel eines Buches des amerikanischen Anthropologen und Archäologen Robert L. Kelly aus dem Jahr 2020. Zivilisatorische Ab- und Umbrüche, zu denen wir auch die Covid-19-Pandemie zählen müssen, gehören nach seiner Schilderung zur Geschichte der Menschheit.

Eine immer wieder zu beobachtende Reaktion auf solche Umbrüche und Krisen ist das Gefühl des Kontrollverlustes und damit verbunden der Angst. Eine als bedrohlich empfundene Situation löst tiefe Besorgnis, löst Unlust oder gar Depression aus. „Gib mir deine Angst“ – so haben wir deshalb die diesjährige Reihe der Fastenpredigten anhand der jeweiligen Bibeltext der Fastensonntage überschrieben. Und wir haben den Untertitel „Glauben in Corona-Zeiten“ hinzugefügt, denn die derzeitige weltweite Krise macht auch vor dem glaubenden Menschen nicht halt. Angst und Zweifel treffen unsere Herzen genauso wie die anderer Menschen – heute genauso wie auch in der Vergangenheit.

II

Die Bibelstelle aus dem Buch Genesis, die wir in der ersten Lesung gehört haben, die Erzählung von Noah und der Arche, hält die Erinnerung an eine Zeit wach, die geradewegs auf eine Katastrophe zusteuerte. Es muss eine Zeit der Ungerechtigkeit und der Gewalt gewesen sein. Das Entscheidende ist aber nun, dass die Autoren dieses Textes von einer grundlegenden Hoffnung in all dem Unheil sprechen: inmitten der Geschichte der Katastrophe ereignet sich die Geschichte der Treue Gottes!

Das dreifache „Nie wieder!“ fasst die Zusage Gottes an Noah und seine Familie und damit stellvertretend für alle lebendigen Wesen zusammen. Nach Sintflut und Vernichtung steht der Neubeginn. Die Israeliten knüpften damit an mündlich überlieferte Mythen von Flut und Rettung an. Schriftlich festgehalten wurden diese Erfahrungen wohl in der Zeit des babylonischen Exils im 6. Jahrhundert v.Chr. – auch das eine Zeit der Ängste und existenziellen Bedrohung, der Zweifel und der Fragen: Können wir unserem Gott noch vertrauen?

Da waren Trost und Hoffnung bitter nötig, die Erinnerung an Gottes Versprechen, an den Bund, den er mit den Menschen geschlossen hat. Gott steht zu seinem Wort. Damit ist das „Nie wieder!“ zugleich Zusage und Wunsch, Ermutigung und Ausdruck der Hoffnung. Gott übersieht mitten in Bosheit und Unheil nicht den frommen Noah, den Gerechten und Gottestreuen. Spüren Sie die ungeheure Wucht dieser Aussage: Gott will sein Werk retten und bewahren! Dieser „Ur-Bund“, den Gott mit Noah und seiner Familie schließt, ist unkündbar – komme, was da kommen mag! Das Zeichen ist der Regenbogen, den Gott immer dann in die Wolken stellt, wenn sich ein Unwetter zusammenbraut und Angst macht.

Was für ein Versprechen! Nie wird das Böse so mächtig werden, dass es den Sieg davonträgt. Damit wird das Böse keineswegs verharmlost. Es gibt das Böse, es gibt die Gefahr, die Krankheit, das Unheil, es gibt auch das Böse in uns. Aber es wird nicht siegen!

Auf dieser Linie liegt auch das heutige Evangelium, wenn Jesus die Menschen – und damit auch uns – aufruft zur Umkehr und zum Glauben an das Evangelium. Da ist dieses „Nie wieder!“ Gottes Teil dieser Frohen Botschaft. Auch Jesus ist dem Bösen, der Versuchung, begegnet, aber dabei ist er nicht geblieben! Seine Gottesbeziehung war so stark, dass er widerstehen konnte.

III

Liebe Schwestern und Brüder!

Wo können wir uns wiederfinden in diesen Erfahrungen, die uns die Bibel vorstellt?

Versuchungen unserer Zeit gibt es viele:

Eine, die man jetzt gerade sehr oft hören kann, lautet: „Hauptsache gesund!“ oder „Gesundheit ist das höchste Gut!“ Natürlich, wer wünschte sich nicht, gesund zu sein? Und der Anblick der schwer an Corona erkrankten Menschen lässt einen erschaudern, macht uns Angst. Und wir müssen alles tun, um ihnen zu helfen! Aber können wir Leid, Krankheit und Behinderung einfach ausklammern? Gehören sie nicht letztlich auch zum Leben, das nun einmal begrenzt ist? Wie sagt Jesus im Mt-Evangelium: „Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern?“

Das Streben nach Gesundheit müssen wir wohl immer auch mit der Akzeptanz von Krankheit verbinden – im Wissen, dass auch das Krankmachende, ja nicht einmal der Tod das letzte Wort haben werden! Und übrigens: Wer an die „Machbarkeit“ der Gesundheit als höchstem Gut glaubt,der wird auch die „Weg-machbarkeit“ mitdenken müssen, wenn die Gesundheit schwindet und stattdessen Schwäche und Krankheit dominieren. Altern und Kranksein in einer Welt der Gesundheit als höchstem Gut, stört dann nur noch. Im Gegensatz dazu kann uns der Glaube an Gottes Bund mit uns, an sein Dasein auch im Leid Hoffnung geben!

Weitere Versuchungen, denen wir immer wieder begegnen, sind die Stimmen in uns, die uns herunterziehen wollen: „Ich bin nichts wert! Ich schaffe es nicht! Es hat alles keinen Sinn!“

Dem gegenüber steht die Verheißung Gottes: „Ich gedenke des Bundes, der besteht zwischen mir und dir und allen Lebewesen!“ Gottes „Nie wieder!“ will uns auch in Zeiten existenzieller Angst an sein Da-Sein erinnern. Daran dürfen wir als Christen festhalten – vielleicht manchmal entgegen aller Vernunft; vielleicht angetrieben von einer Hoffnung, für die es nicht immer die passenden Worte gibt; vielleicht auch versehen mit einem Fragezeichen, weil einem so vieles über den Kopf zu wachsen scheint.

Wie sollen und wie wollen wir also leben – heute als Christen, als kirchliche Gemeinde in der Zeit großer Umbrüche, die uns oftmals ratlos dastehen lassen?

Es ist ja, um Robert L. Kelly zu zitieren, nicht gerade einfach, „einen Wendepunkt zu erkennen, wenn man selbst Teil davon ist“, aber Krisen waren immer auch Ausgangspunkte neuer Aufbrüche, wurden nicht zum Endpunkt von Entwicklungen, sondern zu deren Meilensteinen.

Gottes Treue, die uns im Noah-Bund versprochen ist und in Jesus Christus Hand und Fuß bekommen hat, kann für uns zunächst ein Grund zum Aufatmen sein. Und wir dürfen mit seinem Versprechen im Rücken auch unsere Unsicherheiten und Ängste zulassen, wenn auch nicht überhand nehmen lassen.

Wenn wir Gottes Reich nicht für ein leere Utopie halten, dürfen wir uns einreihen in die Schar all derer, die im Lauf ihres Lebens das Vertrauen auf diesen Gott gesetzt haben und nicht enttäuscht wurden.

„Trotzdem“, so heißt ein kleines Buch von Alexander von Schirach und Alexander Kluge. Ist es nicht vielleicht das, was uns die heutigen Bibeltexte sagen wollen: Trotz allem äußeren Anschein gilt die Verheißung Gottes. Trotzdem, auch wenn das bereits nahe Reich Gottes uns sehr verdunkelt erscheint.

Wie sollen und wie wollen wir also leben? Das Evangelium zeigt uns die Antwort auf Gottes Zusage: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Neuorientierung, Glauben und Vertrauen sollen wir einbringen. Glauben heißt hier ganz existenziell: vertrauen darauf, dass wir auch die Zeit der Wüste bestehen können, dass wir dabei vielleicht auch Neues entdecken werden, dass wir als Christen auch anderen diese Hoffnung ans Herz legen sollen: Gottes Zusage gilt immer – auch dann, wenn ein Mensch sie in seiner momentanen Situation nicht sehen oder spüren kann.

Freilich, Vertrauen ist immer auch riskant – aber wie die Dichterin Catrina Schneider sagt:

Was wäre, wenn Gott von Beginn an bis zum Ende, sie alle mitginge, die geraden Wege, die abwegigen, finsteren Pfade, die Umwege, Irrwege und Sackgassen.

Was wäre, wenn Gott mitginge in die innerste heimlichste Mitte und aus ihr heraus.

Was wäre, wenn Gott mitginge den Mut und den Zweifel, das Immer-weiter-Fragen.

Was wäre, wenn Gott mitginge den Abgrund entlang und spränge uns voran.

Was wäre – wenn wir folgten?