Predigt von Pfarrer Wagner in der Gebetswoche zur Einheit der Christen

„Bleibt in meiner Liebe … und ihr werdet reiche Frucht bringen“  (Joh 15,9-17) 

Lesejahr B, 6. Ostersonntag

(Predigt beim ökumenischen Gottesdienst in St. Wolfgang am 21.01.2021)


I

Liebe Schwestern und Brüder im gemeinsamen Glauben!

„Bleiben“ – dreimal steht dieses Wort am Anfang des heutigen Textes aus dem Johannes-Evangelium.  

Was verstehen wir unter „bleiben“? „Ich bleibe zu Hause“, d.h. ich verlasse einen bestimmten Ort nicht. Oder auch z.B. „gelassen bleiben“, d.h. ich bewahre mir eine bestimmte Eigenschaft.

„Bleibt in meiner Liebe“, sagt Jesus – also gebt sie nicht auf, bewahrt euch diese Eigenschaft, dann „werdet ihr Frucht bringen“, dann werdet ihr etwas bewirken als Christen unter den Menschen, dann können andere davon leben.

Wie aber geht das, bei Jesus bleiben, in seiner Liebe bleiben? 

Ein Anfang ist wohl immer wieder das, was wir hier gerade tun, als Christen gleich welcher Konfession: zusammenkommen, beten, in der Bibel lesen, dadurch Jesus nahekommen.

Ich kann mich noch erinnern: Im Religionsunterricht des Gymnasiums haben wir jede Stunde ein Kapitel des Katechismus gelernt. Kommt man Jesus so besonders nahe? Gott sei Dank gab es da vorher den Unterricht in der Grundschule mit den vielen so spannenden Erzählungen aus der Bibel. Ja, und das haben wir Katholiken von unseren evangelischen Mitchristen gelernt: Die Hochschätzung der Heiligen Schrift als Wort Gottes an uns!

Wie geht das, bei Jesus bleiben? Uns Katholiken bedeutet die Eucharistiefeier sehr viel als der Ort der ganz besonders tiefen Begegnung mit dem Herrn – vielleicht auch Anlass, auf evangelischer Seite noch mehr darüber nachzudenken.

Wir können vieles voneinander lernen – ist das nicht spannend und bereichernd? „Bleiben“ im Sinne Jesu heißt ja nicht, dass alles so bleiben muss wie es ist. „Es war schon immer so“ ist kein Glaubenssatz!

II

Gehen wir noch einen Schritt weiter:

Wie geht das, bei Jesus bleiben und damit bei den Menschen zu bleiben?

Heribert Prantl, bis 2019 Mitglied der Chefredaktion des „Süddeutschen Zeitung“ und engagierter Christ, hat kürzlich in einem Interview den Kirchen in Deutschland vorgeworfen, gerade am Anfang der Pandemiezeit zu wenig bei den Menschen geblieben zu sein. „Die Kirche soll an der Seite der Leidenden stehen. Das habe ich in der ganzen Krise bisher nicht richtig gespürt…. Wenn die Kirchen sonst nichts tun konnten und tun können, dann doch dies: Laut über die Härten zu klagen! Und damit den Betroffenen in den Alters- und Pflegeheimen, in den Familien mit Kindern, die nicht mehr wissen, wo hinten und vorne ist, eine Stimme zu geben. Es ist auch ein Trost, Trostlosigkeit offenzulegen“, schreibt Prantl.

Ich denke, auch wenn viel in unseren Kirchen geschehen ist, um den Menschen auch in dieser schweren Zeit nahe zu bleiben, Prantls Aussage ernst zu nehmen. 

Wir müssen es uns als Christen immer wieder fragen lassen, ob wir den Auftrag Jesu erfüllen, in seiner Liebe verwurzelt, Frucht zu bringen – und das heißt, bei den Menschen zu bleiben. Und das ist doch in jedem Fall die uns alle verbindende Aufgabe.

Dieses Bleiben bei den Menschen wird sicher nicht dadurch gefördert, dass etwa das Votum des Ökumenischen Arbeitskreises unter dem Titel „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ – in dem es um die Möglichkeit einer wechselseitigen Teilnahme am Abendmahl bzw. an der Eucharistiefeier geht -, dass diese theologisch fundierte Studie von der römischen Glaubenskongregation ablehnend bewertet wird; wenn wieder einmal dogmatische und kirchenrechtliche Mauern errichtet werden. „Manches scheint man da (in Rom) nicht verstanden zu haben oder verstehen zu wollen“, so der Ökumene-Bischof Gerhard Feige von Magdeburg.

Dieses Bleiben bei den Menschen wird auch nicht dadurch gefördert, dass einige prominente protestantische Theologen appellieren, einen assistierten professionellen Suizid in kirchlichen Einrichtungen zu ermöglichen. Gott sei Dank lehnen die Evangelische Kirche Deutschlands wie auch die Deutsche Bischofskonferenz und der Caritas-Verband diesen Vorschlag ab. Bei den Menschen bleiben muss vielmehr heißen, ihnen Hilfe, Zuwendung und Lebensperspektiven auch im Leid zu ermöglichen.

III

Liebe Mitchristen! „Bleibt in meiner Liebe, dann werdet ihr Frucht bringen“, legt uns Jesus ans Herz. 

Darum ist es gut, dass wir uns heute Abend hier um Jesus versammelt haben.

Das ist es, was wir tun können, dass wir gerade in Zeiten der Distanz die gegenseitige Gastfreundschaft fördern, dass wir einander besser kennenlernen und dass wir uns in unseren jeweils eigenen Pfarrgemeinden um wirkliche Gemeinschaft mühen, wo niemand am Rand stehen muss, nur weil er anders ist als wir es gewohnt sind oder weil er in ein bestimmtes Denk- oder auch Machtschema einer Gemeinde nicht hineinpassen will.

Was wir tun können, ist der gemeinsame Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit.

Was wir tun können, ist auch, als weltumfassende christliche Glaubensgemeinschaft allen nationalistischen und rassistischen Vorstellungen und Parteien entgegenzutreten, die die Menschenwürde und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft bedrohen.

Die Corona-Pandemie, die uns in so vielen Bereichen eingeschränkt hat, hat da vielleicht manche Richtungen in die Zukunft aufgezeigt:

Sie hat unsere Räume geweitet – hinaus aus Kirchen und Pfarrheimen hinein in die Familien, in den öffentlichen Raum, in die digitale Welt.

Sie hat ein vertieftes Bewusstsein für unseren caritativen Auftrag gebracht und das Gespür dafür, dass nicht nur hauptamtliche Seelsorger und Seelsorgerinnen kirchliches Leben tragen, sondern alle Gläubigen gemeinsam. Damit verbunden ist auch eine zusätzliche Weitung konfessioneller Grenzen sowie eigenverantwortliches Handeln vor Ort – ohne das zuerst ein Amtsträger seine Erlaubnis oder ein Gremium darüber befunden hat.

Diese Erfahrung von Weite könnte auch eine Frucht sein, die erwächst aus dem Bleiben bei Jesus auch in Krisenzeiten. Und das ist es, was wir den Menschen unserer Gesellschaft mit ihrer Einsamkeit, ihrer Angst und manchmal auch Verzweiflung, vorleben können:

Dass ich im Glauben an Jesus in der Liebe und in der Freude bleibe, dass ich mir die Liebe und die Hoffnung bewahre, weil ER zu mir hält. Amen.